11.02.2012

Regel 26-2: Niemandem Leid zufügen

Das Universum ist ein Wesen. Alles und jedes ist durch ein unsichtbares Gewebe von Geschichten miteinander verbunden. Ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, wir befinden uns alle in einer stillen Konversation. Füge kein Leid zu. Übe das Mitgefühl. Und schwätze nicht hinterrücks über jemanden – nicht einmal eine scheinbar unschuldige Bemerkung! Die Worte, die aus unserem Mund kommen, verschwinden nicht, sondern sind dauerhaft im unendlichen Raum gespeichert, und sie werden in der richtigen Zeit zu uns zurück kommen. Der Schmerz eines Menschen wird uns allen weh tun. Die Freude eines Menschen wird alle zum Lächeln bringen.

Alles ist mit allem verbunden, also bin ich mit allem verbunden. Daraus folgt: Wenn ich anderen Leid zufüge, füge ich es mir selber zu. So sagen es viele spirituelle Lehren. Und doch handeln wir kaum danach. Wie passt das zusammen?

Wäre dieser Zusammenhang in unser instinktives Basisprogramm eingebaut, gäbe es kein Leid, das Menschen anderen zufügen. Wir wären nur lieb und nett, hilfsbereit und unterstützend zueinander. Doch tragen wir – ohne Ausnahme – die verschiedensten Neigungen zu Boshaftigkeit, Rachsucht, Überheblichkeit, Rücksichtslosigkeit usw. in uns, Neigungen, die anderen Schaden und Leid zufügen wollen.

Zudem kommen diese bösen Züge in uns fast immer mit dem Gewand der Rechtschaffenheit einher. „Ha, du warst so gemein zu mir, da muss ich mich rächen“; „ich habe es so eilig, da muss ich die anderen beiseite drängen.“ Bei jeder Handlung, mit der wir andere verletzen, sehen wir uns zuerst im Recht. Diese Rechthaberei immunisiert uns gegen das Mitgefühl. Es macht uns blind für den anderen und seine Bedürfnisse, oft sogar für sein Existenzrecht.

Jede Härte gegen andere macht uns zugleich hart gegen uns selbst. Jede böse Handlung hinterlässt Spuren in unserer Seele und Anspannungen in unserem Körper. Sie schneidet uns ab vom sozialen Netz und vom Fließen des Lebens. Wir fügen uns damit selber Leid zu, vielleicht sogar noch mehr als den anderen.

Doch im Delirium der Immunisierung merken wir das nicht einmal. Wir denken statt dessen, dass die anderen schuld sind, wenn wir zu leiden beginnen. „Die lehnen mich alle ab, diese blöden Leute. Und nur deshalb bin ich krank geworden.“ So verstricken wir uns immer tiefer in einen Kampf, den wir selber angezettelt haben, während wir felsenfest davon überzeugt sind, dass wir von lauter aggressiven Windmühlen angegriffen werden.

Nach diesem Strickmuster entstehen die Streitgespräche zwischen den Ehepartnern und die Kriege zwischen den Nationen oder Bürgern. Schuld, verantwortlich und zuständig für eine Veränderung ist immer nur einer: Der andere.

Und dann kommt so ein weltfremder Mystiker und erklärt, dass alles mit allem verbunden ist, wo uns doch unsere alltägliche Erfahrung lehrt, dass alles von allem getrennt ist und jeder im Grund nur den eigenen Vorteil sucht. Leicht werden wir auch auf ihn wütend, weil er uns für dumm verkauft – weil er uns nicht ernst nimmt in unserem Jammern über die anderen, sondern stur darauf beharrt, dass die Veränderung nur im Inneren beginnen kann, im eigenen Inneren.

Wenn wir jedoch einmal das Risiko eingehen (und das ist sehr riskant, weil es unsere Innen- und Außenwelt vollständig umkrempelt), in unserem Inneren nachzuschauen, ob sich da was findet, was sich verändern könnte, dann erkennen wir vielleicht, dass wir angespannt und eingeschränkt sind, alles andere als frei und lebendig. Die Trennung und Abspaltung, die wir im Außen erleben, ist genauso in uns selber drin.

Wir erkennen dann vielleicht: Wenn wir böse handeln, sind wir nicht voll mit uns selbst verbunden, sondern nur mit dem Teil in uns, der selbst verletzt ist und nicht besser weiß, sich zu verteidigen und zu schützen. Unser Handeln ist im Tiefsten von Angst gelenkt. Unser Blick ist verengt und ebenso unser Denken, sodass wir keine Alternativen erkennen können. Deshalb ist auch unsere Freiheit reduziert: Statt dass uns viele Alternativen zur Verfügung stehen, glauben wir nur, dass wir entweder kämpfen oder flüchten können. Wir sind nicht im Vollbesitz unserer Sinne und unseres Geistes.

Wieder voll handlungs- und lebensfähig zu werden, erfordert, dass wir unsere Ängste erkennen, annehmen und loslassen. Dann weitet sich unser Leben wieder, wir entspannen und öffnen uns, für uns selber und für die anderen Wesen. Die Vorstellungen von Abtrennung und Vereinzelung verschwinden, weil wir sie nicht mehr brauchen. Wir sehen die Verletzlichkeit in den anderen Wesen und richten unser Handeln danach. Und wir spüren uns selber dabei, wie es uns gut tut, wenn wir andere respektieren und ihnen Gutes tun.

Allerdings: Selbst wenn wir gut mit uns selber und den anderen verbunden sind, kann jemand anderer unter unserem Verhalten leiden, ohne dass wir es wollen. Die große, nie abgeschlossene Aufgabe liegt darin, die Sensibilität aufzubauen, zu spüren, was andere verletzt, und die Fähigkeit zu kultivieren, die Verletzung mit Mitgefühl wahrzunehmen, wenn sie schon passiert ist.

Wir müssen keine Heiligen sein, die nur Gutes tun. Wir können viel an uns verbessern, werden aber dennoch nie fehlerlos werden. Zu komplex ist die Welt der menschlichen Beziehungen, als dass wir sie jemals makellos meistern könnten. Selbst der größten Wohltäterin kann eines Tages ein Mensch über den Weg laufen, den sie missversteht, geringschätzt oder übersieht.

Perfektion ist nirgends in der Natur eingebaut und hat nichts mit Menschlichkeit zu tun. Sie ist nur eine Idee aus unserem Denkapparat, die wir zumeist in selbstschädigender Weise verwenden. Was wir zu verbessern vermögen, können wir dankbar annehmen, was uns immer wieder zwischen uns und uns kommt, können wir geduldig hinnehmen und darauf vertrauen, dass irgendwann der Zeitpunkt kommen wird, an dem auch das hartnäckigste Muster verschwindet.

Auch kann uns das Vorbild des Heiligen oder der Wohltäterin dazu dienen, unsere zwischenmenschliche Sensibilität zu verbessern und den Mut für das Risiko zu stärken, immer wieder den Blick nach innen zu lenken, darauf, was uns hindert, die Verbundenheit von allem mit allem zu erkennen.


* * *
Die Regeln sind dem Roman von Elif Shafak  “The Forty Rules of Love” (2010) entnommen. Diese "Regeln" sind aus dem Schreiben des Romans entstanden und durch die mystischen Lehren des Sufismus inspiriert. http://www.elifshafak.com/
In deutscher Übersetzung ist das Buch 2013 im Kein&Aber-Verlag erschienen.

18.01.2012

Regel 29 - 2: Vorherbestimmung oder Freiheit?


Destiny doesn’t mean that your life has been strictly predetermined. Therefore to leave everything to fate and to not actively contribute to the music of the universe is a sign of sheer ignorance. “The music of the universe is all pervading and it is composed on forty different levels. Your destiny is the level where you will play your tune. You might not change your instrument but how well to play is entirely in your hands. ”
 
Schicksal bedeutet nicht, dass dein Leben streng vorherbestimmt wird. Deshalb ist ein Zeichen schierer Ignoranz, alles dem Schicksal zu überlassen und nichts aktiv zur Musik des Universums beizutragen. „Die Musik des Universums durchdringt alles und wird auf vierzig verschiedenen Ebenen komponiert. Dein Schicksal ist die Ebene, auf der du deine Melodie spielen wirst. Du kannst vielleicht dein Instrument nicht wechseln, aber wie gut du spielst, ist ganz in deiner Hand.“


Dieser Kommentar bezieht sich nur auf den ersten Satz dieser Regel, der Prädeterminierung. Ist das Leben nun vorherbestimmt oder nicht? Ist es „strikt“ oder nur ein wenig vorherbestimmt, oder sind wir eigentlich ganz frei?

Diese Frage taucht immer wieder auf, wenn die spirituell-intellektuelle Suche an den Rändern des Verstehbaren ankommt. Und dort muss sie ankommen, wenn sie sich wirklich engagiert und nicht halbherzig irgendwo am Weg Halt macht. In diesen exotischen Bereichen der Suche stoßen wir immer auf unterschiedliche Antworten. Ist es letztlich unser Geschmack, der sich die Antwort aussucht, die ihm am meisten Genuss oder Klarheit bringt? Oder wieder nur die Vorherbestimmung, die uns mehr oder weniger an die Vorherbestimmung glauben lässt? Oder Ausfluss unserer unbegrenzten Freiheit?

Immer, wenn es mehrere konkurrierende und in sich einleuchtende Antworten auf Fragen gibt, macht es Sinn, den Kontext der jeweiligen Antworten (und damit den Kontext der Frage) zu betrachten. Aus welchen Zusammenhängen stammt die entsprechende Antwort und für welche Zusammenhänge ist sie brauchbar?

Wofür brauchen wir unsere Freiheit? Sie gibt uns ein besonderes Selbstgefühl. Sie lässt uns spüren, dass wir selber etwas in der Welt bewirken und verändern. Sie erlaubt uns, dass wir unsere Handlungen reflektieren und verändern, stolz zu sein über das, was wir geschafft haben und darauf zu vertrauen, dass wir uns verbessern können, wenn etwas schief gegangen ist. Wäre alles determiniert, würde uns die Welt trostlos und mechanisch vorkommen – wir als Maschinen unter Maschinen.

Außerdem brauchen wir die Freiheit und die damit verbundene Selbstverantwortung, weil wir uns immer auch im sozialen Feld bewegen. Wir sehen uns selbst und die anderen Mitspieler als Urheber der eigenen Handlungen. Du hast das oder jenes getan, das mich ärgert, und ich möchte, dass du dein Verhalten veränderst. Wenn der andere darauf sagt: „Ich kann gar nichts ändern, es ist alles vorherbestimmt!“, dann sind wir frustriert und fühlen uns einem Machtspiel ausgeliefert, was wohl der Beziehungsdynamik entspricht, die hier ausgeblendet wird.

Die Gesellschaft funktioniert nur mit der Annahme, dass jeder ihrer Teilnehmer über einen freien Willen verfügt, der ihm ermöglicht, das eigene Verhalten durch Einsicht zu verändern. Deshalb nehmen wir es nicht einfach hin, wenn ein Mensch einen anderen umbringt. In allen Kulturen und Zeiten gibt es die Unterscheidung von richtigem und falschem Verhalten, von guten und bösen Handlungen. Das eine wird verstärkt und gefördert, das andere bestraft und bekämpft. Sonst würde jede Gesellschaftsordnung zusammenbrechen. Die Idee bei der Bestrafung ist dabei, dass die Person, deren Verhalten geahndet wird, durch die Bestrafung erkennt, dass sie das Verhalten verändern muss, um in der Gesellschaft akzeptiert zu sein und die lebensnotwendige Zuwendung und Wertschätzung zu bekommen.

Man könnte auch der Meinung sein, dass Menschen ihr Verhalten verändern wie ein Auto, das auf das Drehen des Lenkrades reagiert. B.F. Skinner, ein Vertreter der instrumentellen Konditionierung, entwickelte vor 50 Jahren die Idee, die menschliche Gesellschaft so einzurichten, dass bei allen Menschen das gewünschte Verhalten so lange verstärkt wird, bis sie es automatisch machen. Man bräuchte dann keinen freien Willen, sondern nur die richtigen Belohnungs- und Bestrafungsprogramme. Abgesehen von der Frage, aus welchem (freien) Willen die Auswahl der Programme erfolgt, zeigt jede Erfahrung mit Menschen, dass solche Programme bei manchen Menschen wirken und bei anderen nicht. Trotz eines ausgeklügelten Systems von Verkehrsbestrafungen gibt es laufend Verstöße dagegen. Jemand kann sich in einer Situation (frei) dazu entscheiden, schneller als erlaubt zu fahren, obwohl er weiß, dass er dafür bestraft wird. In einer anderen Situation wird er sich (frei) entscheiden, das Tempolimit einzuhalten.

Dann gibt es noch den „gehirnphysiologischen Determinismus“, der besagt, dass alles, was wir wahrnehmen (Input) und was wir tun (Output) erst durch Prozesse im Gehirn möglich werden. Wie wir wissen, steckt ein unbewusst ablaufender Vorgang der Optimierung von Alternativen hinter jeder Entscheidung, die nachträglich vom bewussten Teil des Gehirns als eigenmächtig getroffene Entscheidung abgesegnet wird. Das Unbewusste „weiß“ schon lange (ein paar Zehntelsekunden), was geschehen wird, und dann spiegelt der bewusste Teil des Gehirns vor, der eigentliche Entscheidungsträger zu sein. Wo bleibt da die Freiheit? Das ist ja wie unter Stalin, als der Richter nach Abschluss des Gerichtsverfahrens in sein Büro gehen musste, um die Parteizentrale anzurufen, von wo ihm mitgeteilt wurde, welche Strafe für den Angeklagten schon längst vorgesehen war. Dann ging er zurück in den Gerichtssaal, um das Urteil zu verkünden, so als hätte er es selbst getroffen.

Dem können wir zumindest zwei Argumente entgegenhalten: Auch wenn es im Gehirn eines Menschen Automatismen gäbe, die der freien Selbstbestimmung entzogen sind und diese nur eine Illusion ist, bleibt die Verantwortung der Gesellschaft gegenüber. Was auch immer die Gehirnforschung zu Tage fördert, müssen die Menschen, die sich einer Übertretung von gesellschaftlichen Normen schuldig machen, der Verantwortung stellen, als hätten sie die Entscheidung getroffen, sie müssen also für ihr Unbewusstes einstehen. Sonst zerbricht sofort die Regelung des Zusammenlebens. Für den sozial geforderten Freiheitsbegriff sind also alle Erkenntnisse der Naturwissenschaften irrelevant.

Eine zweite Argumentation zielt auf den Prozess der Entscheidung, wie er laut Gehirnprozessen abläuft. Es werden Informationen von außen geliefert, z.B. aus der Speisekarte stehen Tiramisu und Profiterole. Dann bewertet ein innerer Prozess im limbischen System, was gewählt wird, aufgrund von früheren Erfahrungen und aktuellen inneren Daten, die z.B. die Magennerven oder die Geschmacksknospen liefern. Dann wird dem Präfrontalcortex mitgeteilt, was zu bestellen ist, und selbiger gibt dann die Anweisung, die Bestellung auszuführen.

Entscheidungsfreiheit heißt, dass Alternativen zur Wahl stehen und nicht ein instinktiver Mechanismus vorgibt, was zu tun ist. Freiheit heißt, ich überlege, bewusst und unbewusst, und entscheide dann, bewusst und unbewusst. Auch der unbewusste Entscheidungsprozess im limbischen System, der die Alternativen bewertet, ist frei in dem Sinn, dass nicht vorhergesagt werden kann, in welche Richtung er steuert. Selbst die genauesten Messungen könnten nur jeweils einen Ist-Zustand wiedergeben, z.B. das limbische System tendiert jetzt gerade, in Sekunde 13,455 zum Tiramisu, ohne dass aus der Messung hervorgehen kann, was im nächsten Moment passiert und was dann das endgültige Resultat sein wird. Die Determiniertheit taucht erst im Nachhinein auf, da können wir sagen, weil in der Sekunde 13,678 die Profiterole-Seite soviel Serotonin-Zulauf bekommen hat, wurde diese Wahl getroffen. Wäre die Wahl anders ausgefallen, könnte die Erklärung lauten, gerade weil soviel Serotonin in Richtung Profiterole geflossen sei, habe die Dopamin-Anreicherung auf der Tiramisu-Seite den Ausschlag gegeben.

Selbst unser Innerstes ist um noch viel weniger vorausberechenbar wie das Wetter. Da erweist sich die Rede von der Vorherbestimmung als schwache Rechthaberei. „Ich hab es ja schon immer gesagt, so wird es kommen, hättest du rechtzeitig auf mich gehört...“, hallt es vielleicht mit der Stimme eines Elternteiles in unseren Ohren.

Also zurück an den Anfang: Gibt es die Freiheit? Gibt es die vollständige Vorherbestimmung? Wenn wir solche Fragen stellen, tun wir so, als würden wir nach der Existenz von Dingen fragen: Gibt es eine Atmosphäre auf dem Mars? Gibt es noch Tomatensauce im Kühlschrank? Und: Wenn es das eine gibt, kann es das andere nicht geben: Entweder die Milch ist verdorben oder noch genießbar. 

Das ist die materialistische Sichtweise der Wirklichkeit: Sie besteht aus vorfindbaren Gegenständen, und wir sollten uns bemühen, sie möglichst sachgerecht innerlich abzubilden. Wo etwas nicht dinglich ist, verdinglichen wir es eben. Genau das geschieht, wenn wir die Frage stellen: Gibt es die Willensfreiheit? Gibt es die Vorherbestimmung? Ist die Vorherbestimmung strikt oder hat sie Lücken?

Denn es gibt in dieser Welt keinen Gegenstand namens Freiheit oder Determination. Deshalb ist die von materialistischen Bewusstsein geprägte Sichtweise ungeeignet, um solche Fragen sinnvoll zu beantworten. Sie kann auf Fragen nach dem Funktionieren von dinglichen Zusammenhängen gute Antworten geben, z.B. wie sorge ich dafür, dass ich im Winter nicht frieren muss, oder wie baue ich ein Fahrrad, das möglichst leicht ist usw.

Wie schaut es auf anderen Bewusstseinsstufen aus? Springen wir gleich auf die holistische, weil sie immer wieder in den Zitaten aus den „Regeln der Liebe“ zum Ausdruck kommt. Hier nehmen wir einen Standpunkt ein, der sich frei macht von Vorannahmen und Erwartungen, von Ideologien und Ängsten. Von dort aus erkennen wir, wofür wir die Freiheit brauchen und wo wir auf sie nicht verzichten können. Sie ist unerlässlich für das Ich-Gefühl und für das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit den anderen Ichs.

Sobald wir die Fixierungen an das Ich distanzieren, verliert die Freiheit ihre stolze selbstbehauptende Bedeutung. Was gibt es zu behaupten? Was ist dieses kleine Ich im Vergleich zur Mächtigkeit des Lebensstromes? Wenn wir unsere Überlebensängste hinter uns gelassen haben, die uns an die Begriffe und Konzepte binden, dann können wir uns diesem Fließen des Lebens überlassen, das uns in jedem Moment etwas Neues, Unerwartetes zeigt, in dem, was wir erleben, und in dem, was wir tun. Dann ist es nicht mehr wichtig oder interessante, ob das aus Freiheit oder Vorherbestimmung geschieht. Vielmehr finden wir zu einer neuen Bedeutung von Freiheit, die wir erleben können, wenn wir uns dem überlassen, was von selber geschieht und genau so geschehen soll, wie es geschieht, weil es so bestimmt ist, ob vorher oder nachher, spielt dann keine Rolle mehr.


Die Regeln sind dem Roman von Elif Shafak  “The Forty Rules of Love” (2010) entnommen. Diese "Regeln" sind aus dem Schreiben des Romans entstanden und durch die mystischen Lehren des Sufismus inspiriert. www.elifshafak.com
In deutscher Übersetzung ist das Buch 2013 im Kein&Aber-Verlag erschienen.