24.04.2011

Regel 1: Unser Gottesbild ist unser Selbstbild

Die türkische Autorin Elif Shafak entfaltet in ihrem Roman  “The Forty Rules of Love” (2010 - wird 2012 im Droemer-Verlag auf Deutsch erscheinen) die Grundlagen der Lehre der Sufis, der Mystiker des Islams anhand von 40 "Regeln der Liebe". Diese "Regeln" sind aus dem Schreiben des Romans entstanden und durch die mystischen Lehren inspiriert. www.elifshafak.com
Angeregt von diesen Regeln habe ich kommentierende Text erstellt, die sich auf diesem Blog finden und freue mich über eure Kommentare.
Dabei nehme ich immer wieder Bezug auf das Modell der Bewusstseinsentwicklung, das ich in meinem Buch: "Vom Mut zu wachsen. Sieben Stufen der integralen Heilung" (September 2011 Kamphausen Verlag) beschreibe.  

Regel 1:
How we see God is a direct reflection of how we see ourselves. If God brings to mind mostly fear and blame, it means there is mostly fear and blame welled inside us. If we see God as full of love and compassion, so are we.

Wie wir Gott sehen, ist eine direkte Reflexion dessen, wie wir uns selbst sehen. Wenn wir bei Gott hauptsächlich an Angst und Schuldzuweisung denken, bedeutet das, dass vor allem Angst und Schuldzuweisung in uns wirkt. Wenn wir Gott voll von Liebe und Mitgefühl sehen, sind wir auch so.

Viele traditionelle religiöse Unterweisungen vermitteln das Bild des unerbittlich strengen und strafenden Gottes. Gott weiß, was gut und böse ist, und richtet darüber, inwieweit die Menschen diesen Richtlinien entsprechen. Dann wird auch der „gottesfürchtige“ Mensch als besonders tugendhaft angesehen. Er traut sich nichts zu tun, was den Vorstellungen Gottes, zumindest so, wie sie die jeweilige Kirche oder Religionsgemeinschaft sieht, zuwider läuft. Und er wird auch seinen Mitmenschen mit Angst und Schuldgefühlen begegnen. Dafür wird er dann irgendwann belohnt werden.

Hier begegnen wir dem Erziehungsmodell der hierarchischen Bewusstseinsstufe (vgl. dazu  „Vom Mut zu wachsen“). Das hierarchische Gottesbild dient der Einordnung des Menschen in die Regeln der Gesellschaft. Wer sich regelwidrig verhält, muss nicht nur mit den weltlichen Strafen rechnen, sondern auch mit den jenseitigen. So werden die Menschen in beständiger Angst gehalten und neigen auch dazu, ihre Mitmenschen mittels Schuld und Verängstigung zu dirigieren und zu kontrollieren.

Viele Menschen, die diese Zusammenhänge durchschaut haben, indem sie sich aus hierarchischen Abhängigkeiten befreit haben, haben sich auch von einem solchen Gott abgewendet. Aber nicht alle haben dann weitergesucht, um den Gott der Liebe und des Mitgefühls zu finden. Dazu gehört ein Mut zu wachsen: Nach innen, indem wir uns mit der Göttlichkeit in uns verbinden und sie mehr und mehr annehmen (samt all der Schatten und Unvollkommenheiten), nach außen, indem wir uns mit der Göttlichkeit der anderen Menschen und darüber hinaus der ganzen Schöpfung verbinden (samt deren Unzukömmlichkeiten und Unfertigkeiten).

Wenn es uns gelingt, das Göttliche in uns in der Liebe und im Mitgefühl ansprechen, wachsen wir über die Ängstlichkeit und Schuldhaftigkeit hinaus und sehen auch unsere Mitmenschen im klaren Licht der Liebe und des Mitgefühls.


Die Regeln sind dem Roman von Elif Shafak  “The Forty Rules of Love” (2010) entnommen. Diese "Regeln" sind aus dem Schreiben des Romans entstanden und durch die mystischen Lehren des Sufismus inspiriert. www.elifshafak.com
In deutscher Übersetzung ist das Buch 2013 im Kein&Aber-Verlag erschienen.

1 Kommentar:

  1. Nachdem ich das Buch gelesen habe, habe ich bereut, dass ich die 40 Regeln nicht aufgeschrieben habe. Und dann habe ich diese Seite entdeckt. Ich danke vom Herzen dem Autor für diese wunderbare Arbeit!

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