17.05.2011

Regel 16: Gottesliebe und Menschenliebe

It’s easy to love a perfect God, unblemished and infallible that He is. What is far more difficult is to love fellow human beings with all their imperfections and defects. Remember one can only know what one is capable of loving. There is no wisdom without love. Unless we learn to love God’s creation, we can neither truly love nor truly know God.

Leicht ist es, einen vollkommenen Gott zu lieben, makellos und unfehlbar, wie er ist. Was um vieles schwieriger ist, unsere Mitmenschen mit all ihren Unvollkommenheiten und Defekten zu lieben. Erinnere dich daran, dass man nur das kennen kann, was man lieben kann. Es gibt keine Weisheit ohne Liebe. Wenn wir nicht lernen, Gottes Schöpfung zu lieben, können wir Gott weder wirklich lieben noch wirklich kennen.

Was macht es uns so schwierig, unsere Mitmenschen zu lieben? Es ist unsere eigene Unvollkommenheit, Gestörtheit, Selbstverstricktheit. Immer wieder neigen wir dazu, unsere Sicht der Welt als die einzig mögliche und sinnvolle zu nehmen, womit uns jede andere Idee von der Welt irritiert und aufregt. Gleich fühlen wir uns bedroht und reagieren abweisend und ärgerlich. Dann ziehen wir uns auf uns selber zurück und sperren die Kanäle der Liebesenergie.
Wir halten uns viel an der Oberfläche auf und bleiben leicht dort hängen. Viele unserer Alltagsverrichtungen laufen auf Oberflächen: Einkaufen, am Verkehr teilnehmen, Bekannte treffen, Arbeitskollegen begrüßen, usw. An der Oberfläche ist jeder Mensch anders und schnell erkennen wir an den anderen etwas Störendes oder Gestörtes. Zudem sind wir häufig unter Zeitdruck, angespannt und gestresst. Damit ist unser empathisches Potenzial weitgehend außer Kraft gesetzt und der andere wird schnell zum Feind, der mir nur im Weg steht und mein Weiterkommen behindert.
Wie ist es mit den Freunden und Liebespartnern? Da kommen wir leichter in die Tiefe, da lauern aber auch viele Fallen, die uns dann wieder zurück an die Oberfläche schicken. Wir sind oft empfindlicher und leichter zu reizen und zu verletzen als bei Fremden. Wir denken, dass da mehr am Spiel steht und können deshalb nichts durchgehen lassen. Wir verstehen uns bestens darauf, die Knöpfe des anderen, also seine ganz besonders empfindlichen Punkte zu drücken, und sind besonders arg davon betroffen, wenn uns das gleiche passiert.
Wenn wir uns als Suchende verstehen, als Pilger auf dem Weg, dann sollten wir keine Gelegenheit säumen, die sich uns bietet, wenn wir merken, dass wir jemand anderen ablehnen. Dann können wir uns die Frage stellen, was es mit uns selbst zu tun hat, welchen Teil von uns selber wir im anderen ablehnen. Sobald wir diesen Teil in uns besser annehmen, wird er uns im Außen nicht mehr stören und wir können uns tiefer den anderen gegenüber öffnen. Was wir an uns kennen und an uns lieben gelernt haben, wird uns helfen, mehr am anderen kennen und lieben zu lernen.
Die Übung ist, dass wir Menschen, die uns tagtäglich über den Weg laufen, in der Tiefe begegnen: das ist damit gemeint, die Schöpfung Gottes zu lieben und darin Gott zu lieben. Das bedeutet nicht, dass wir allen um den Hals fallen müssen, sondern dass wir ihnen mit Respekt und Wertschätzung begegnen, ob durch Worte, Gesten, Blicke oder einfach nur durch die innere Einstellung. Dann erkennen wir, dass andere in Wirklichkeit gar nicht unvollkommen sind, sondern dass es nur unser Blick ist, der getrübt ist von unseren Voreinstellungen und Projektionen und das Offensichtliche nicht erkennen kann. Wenn wir uns davon befreien können, gewinnen wir viel: Lauter wunderbare Freunde rings um uns.


Die Regeln sind dem Roman von Elif Shafak  “The Forty Rules of Love” (2010 - noch nicht auf Deutsch erschienen) entnommen. Diese "Regeln" sind aus dem Schreiben des Romans entstanden und durch die mystischen Lehren des Sufismus inspiriert. www.elifshafak.com
In deutscher Übersetzung wird das Buch 2012 im Droemer Verlag erscheinen.

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