21.05.2011

Regel 17: Innerer Schmutz und Reinigung

Real Filth is the one inside. The rest simply washes off. There is only one type of dirt that cannot be cleansed with pure waters, and that is the stain of hatred and bigotry contaminating the soul. You can purify your body through abstinence and fasting, but only love will purify your heart.

Wirklicher Schmutz ist der innere. Den Rest waschen wir einfach ab. Es gibt nur eine Art von Dreck, der mit reinem Wasser nicht abgewaschen werden kann, das ist der Makel von Hass und Frömmelei, der die Seele verschmutzt. Du kannst den Körper durch Abstinenz und Fasten reinigen, aber nur Liebe wird dein Herz reinigen.

Wir leben in einer Kultur, die stark von Sauberkeit geprägt ist, und das hat auch seine guten Seiten. Was wir an weniger entwickelten Ländern oft schlecht aushalten, ist die Unordnung, der Mist, der herumliegt, der Gestank und der Dreck.  Manchmal übersehen wir dabei, dass die Menschen dort etwas ausstrahlen, was bei uns selten ist, eine Form der Entspanntheit und des alltäglichen Humors. Das zeigt uns, dass der äußere Schmutz nur eine Seite ist, und nicht die wesentlichste. Hinter dem saubersten Äußeren kann sich leicht ein ungereinigter Charakter verstecken.
 
Außen so wie innen, heißt es manchmal. Außen sauber machen, ist keine Kunst, höchstens eine Überwindung. Zur äußeren Reinigung zählt auch die des eigenen Körpers, z.B. durch Praktiken des Fastens. Dabei hilft die Disziplin, das Ego einzudämmen. In jeder Form einer konsequenten Übungspraxis müssen Widerstände überwunden werden. Dadurch wird das Ego geschwächt. Seine Bedürftigkeit ist nicht die einzige Richtschnur des Handelns.

Die Reinigung des Herzens wird dadurch erleichtert, aber ist damit noch nicht getan. Bloße Selbstdisziplin und Überwindung bringt nicht automatisch mehr Bewusstheit. Es kann auch das Gegenteil eintreten, dass die Selbstdisziplin und Selbstkasteiung einem Teil in uns zu dienen beginnt, der sich mit dem Erfolg der Selbstkontrolle als etwas Besseres und Überlegenes fühlt, also zu Stolz und Überheblichkeit beiträgt, womit sich das Ego schützen kann. Ein anderer verdeckter Aspekt der Selbstkontrolle kann im Ablehnen des Schmutzigen und Unangenehmen liegen, der zu einem zwanghaften Aufrichten von Sauberkeit in allen Belangen führt. Alles Unsaubere wird verabscheut, und damit wird eine Dimension der Wirklichkeit abgelehnt und verurteilt, die zu ihr gehört wie der Schatten zum Licht. Der Blick auf die Natur lehrt uns, wie relativ unsere Begriffe von Sauberkeit sind. Schweine leben ganz gut mit anderen Sauberkeitsbegriffen als Katzen.

Die innere Reinigung ist deshalb schwierig, weil wir meistens gar nicht erkennen, was gereinigt gehört. Wir sind so fixiert auf unsere Eigenarten und Marotten, dass wir gar nicht auf die Idee kommen, dass sie geändert gehören. Wir pflegen unser gewohntes Selbstbild und rechtfertigen unsere Handlungen mit großer Geschicklichkeit vor uns selber, auch wenn sie weder uns noch den anderen dienen. Ebenso pflegen wir die Bilder von den anderen Menschen, vor allem von jenen, die uns enttäuscht, getäuscht oder verletzt haben. So kreisen wir im wesentlichen in uns selbst und halten das für die einzig mögliche Wirklichkeit.

Das Zitat macht uns aufmerksam auf zwei Formen der inneren Kontamination: Hass und Bigotterie. Sie stehen wohl stellvertretend für alle Lieblosigkeiten, die wir anderen antun (Hass), und für alle Selbstüberheblichkeiten, die uns blind gegenüber uns selber sein lassen (Frömmelei). In beiden Fällen weigern wir uns hinzuschauen: Auf den anderen, wie er wirklich ist; statt dessen starren wir auf unsere Projektionen, und auf uns selbst, wie wir wirklich sind; statt dessen suhlen wir uns in unserer Rechthaberei und Selbstverherrlichung.

Im Fall des Hasses sind wir gefangen in einer beengten Sicht des anderen, die uns selber eng werden lässt – können wir frei atmen, wenn wir hassen? Scheinbar stärkt uns der Hass, weil er eine todbringende Kraft in sich hat. Hass will in letzter Konsequenz den anderen vernichten. Doch ist das eine Kraft, die sich gegen uns selber richtet. In Wirklichkeit löschen wir die Liebe in uns aus und schneiden uns damit von der Energie ab, die uns nährt und wachsen lässt.

Wenn wir in Selbstgefälligkeit baden, strecken wir uns scheinbar über uns selbst hinaus und können dann erst recht nicht frei atmen, wir halten gewissermaßen die Luft in uns fest, damit wir über den Dingen und über den anderen Menschen schweben können. Die Kraft, die wir dabei spüren, ist geborgt von unseren Reserven und reicht nur für begrenzte Zeit. In der Selbstgefälligkeit neigen wir dazu, schnell wieder zu kollabieren, wenn die Wechselfälle des Lebens unangenehme Herausforderungen bereitstellen. Der Frömmler flüchtet auch gerne vor den realen Kontakten mit Menschen, die ihm seine Schwächen aufzeigen könnten.

Wir verhalten uns wie die Menschen in dem Roman „Der futurologische Kongress“ von Stanislaw Lem. Dort ist alles verrottet und verkommen, doch die Regierung hat überall eine Duftdroge verstreut, die bewirkt, dass sich bei allen die Wahrnehmung so verzerrt, dass sie die verkommenen Dinge als wunderschön sehen. In Bezug auf uns selber neigen wir dazu, die gestörten Anteile schönzufärben, und in Bezug auf andere machen wir das Gegenteil, wir überzeichnen deren gestörte Anteile und ignorieren ihren wahren Kern. Die Droge, der wir dauernd unterliegen, ist unsere krankhafte Selbstbezogenheit und Selbsttäuschung, genauso wie wir uns dauernd über die anderen täuschen, sei es im Hass oder in der Idealisierung.

Das Herz zu reinigen, erfordert die Konsequenz in der Innenschau: Unsere Schwächen anzuerkennen und ins Herz zu nehmen, wo sie sich in Stärken verwandeln, wenn wir die Kraft der Liebe nutzen. Die Innenschau kommt an kein Ende, weil jede neue Herausforderung des Lebens unsere Schattenaspekte aktiviert. Sie kann jedoch durch Übung verbessert und erleichtert werden. Der Genuss eines gelungenen Heilungsschrittes ist die darin erfahrbare Vertiefung der Kraft des Herzens.


Die Regeln sind dem Roman von Elif Shafak  “The Forty Rules of Love” (2010 - noch nicht auf Deutsch erschienen) entnommen. Diese "Regeln" sind aus dem Schreiben des Romans entstanden und durch die mystischen Lehren des Sufismus inspiriert. www.elifshafak.com
In deutscher Übersetzung ist das Buch 2013 im Kein&Aber-Verlag erschienen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen