03.05.2011

Regel 6: Missverstehen und Stille


Most of the problems of the world stem from linguistic mistakes and simple misunderstandings. Don’t ever take words at face value. When you step into the zone of love, language as we know it becomes obsolete. That which cannot be put into words can only be grasped through silence.

Die meisten Probleme auf der Welt entstehen aus linguistischen Fehlern und einfachen Missverständnissen. Nimm Worte niemals für bare Münze. Wenn du in die Zone der Liebe einsteigst, wird die Sprache, wie wir sie kennen, überholt. Das, was nicht in Worte gefasst werden kann, kann nur durch Stille ergriffen werden.

Menschen leben in ihrer eigenen Begriffswelt und nehmen an, dass die anderen diese Bedeutungs- und Begriffswelt teilen, daher ist die Kommunikation so leicht anfällig für Missverständnisse.  Insbesondere, wenn wir in unseren Gefühlen gefangen sind, neigen wir zu Projektionen und nehmen an, dass uns andere etwas Böses wollen oder uns nicht verstehen. Aus der Funktion der Spiegelneurone wissen wir, dass wir uns in andere nur einfühlen können, wenn wir entspannt sind.

Wenn wir angespannt und erregt sind, befinden wir uns im Flucht- oder Angriffsmodus. Dann neigen wir dazu, die Worte misszuverstehen, die wir hören, bzw. Worte zu hören, die gar nicht gesagt wurden, oder zumindest den gehörten Worten eine ganz andere Bedeutung zu unterlegen. Dann fassen wir Worte als Beleidigung oder Angriff auf, und spüren es wie eine gewaltsame Verwundung, obwohl es nur Worte sind. Wir fühlen uns tief verletzt und dazu noch im Recht, so verletzt zu sein, und geben es bei nächster Gelegenheit zurück. So entstehen die Probleme in der Welt, im großen wie im kleinen, so werden sie am Leben gehalten und weiter vertieft.
Wenn wir über diese Fehleranfälligkeit unserer Kommunikation Bescheid wissen, tun wir gut daran, „Worte niemals als bare Münze“ zu nehmen. Und wir sollten auch unsere Interpretationen der Worte nicht als bare Münze nehmen, sondern als das was sie sind, Annahmen darüber, was mit den gehörten Worten gemeint sein könnte.

Viele, wenn nicht alle der Konflikte, in die wir uns verstricken, stammen aus solchen Missverständnissen. Deshalb sollten wir sorgfältig darauf achten, keine wichtigen Gespräche zu führen, wenn wir unter Stress stehen, denn da kann sowieso nichts Gutes dabei herauskommen. Im Zustand hochgradiger Erregung gibt es dann nur mehr lautstarke und grob vereinfachte Schreiduelle, die noch mehr an Liebe zerbrechen und kommunikative Verwüstung zurücklassen.

Wittgenstein meinte: Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ Unter Welt verstand er dabei das, was der Fall ist, die Tatsachen und Sachverhalte, also alles, was sich objektiv konstatieren lässt und damit sprachlich eindeutig abbilden lässt. Nicht zu dieser Welt zählt dagegen die Innenwelt oder die kommunikative Zwischenwelt, denen diese Eindeutigkeit eindeutig abgeht. Hier herrscht die Sprachverwirrung, die es aufzuklären gilt, bis die Sprache von ihren Störungen befreit und gereinigt ist. Dann zeigen sich die Probleme der Philosophie und Metaphysik und vielleicht auch die kommunikativen Probleme der Menschen als Pseudoprobleme und verschwinden.

Erst wenn wir innerlich zur Ruhe kommen, können wir uns tiefer mit einem anderen Menschen verbinden. Dann sind die Worte und deren Bedeutungen zweitrangig. Dann ist Stille die eigentliche Antwort auf jede Frage. Dazu bekanntlich Wittgenstein: „Worüber man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“


Die Regeln sind dem Roman von Elif Shafak  “The Forty Rules of Love” (2010) entnommen. Diese "Regeln" sind aus dem Schreiben des Romans entstanden und durch die mystischen Lehren des Sufismus inspiriert. www.elifshafak.com
In deutscher Übersetzung ist das Buch 2013 im Kein&Aber-Verlag erschienen.


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