15.06.2011

Regel 27: Was du aussendest, kommt zu dir zurück

This world is like a snowy mountain that echoes your voice. Whenever you speak, good or evil, it will somehow come back to you. Therefore if there is someone who harbours ill thoughts about you, saying similarly bad things about him will only make matters worse. You will be locked in a vicious circle of malevolent energy. Instead for forty days and nights say and think nice things about that person. Everything will be different at the end of forty days, because you will be different inside.


Diese Welt ist wie ein verschneiter Berg, der deine Stimme im Echo zurückwirft. Wann immer du sprichst, gut oder böse, wird es irgendwie zu dir zurück kommen. Wenn es also jemanden gibt, der dir böse gesonnen ist, macht es alles nur schlimmer, wenn du ähnlich böse Dinge über ihn sagst. Du wirst dich in einem Teufelskreis von boshafter Energie verfangen. Stattdessen sage und denke nette Dinge über diese Person, vierzig Tage und Nächte. Alles wird nach den vierzig Tagen anders sein, weil du innerlich anders sein wirst.


Es mag sein, dass das große Gewebe der Welt jede Information, die ausgeschickt wird, dorthin transportiert, wohin sie gerichtet wird. Wenn wir hinter dem Rücken Böses über jemanden reden, kann es sein, dass diese Person spürt, dass irgendwo von irgend jemanden Böses über sie geredet wird. Wir wissen nicht, ob das Universum wirklich so funktioniert.

Dennoch ist es leichter einsehbar, dass uns böse Gedanken innerlich verspannen, weil sie von einer inneren Angst gesteuert sind. Wir brauchen uns nur vorzustellen, dass wir jemandem gram sind und dabei unseren Körper spüren. Irgendwo zieht sich da etwas zusammen, unsere Atmung schränkt sich ein und wir fühlen uns unwohl und unfrei.

Auch wenn wir manchmal den Eindruck haben, als würde es uns helfen, wenn wir anderen Übel wollen und innerlich oder verbal auf sie losgehen. Doch lösen böse Gedanken oder Worte die dahinter verborgene Angst nicht auf, sondern verstärken sie. Schließlich haben wir jetzt dem Anderen etwas angetan und müssen mit seiner Ablehnung rechnen. Darum beeinträchtigen solche Gedanken und Worte momentan und langfristig unser Wohlbefinden und können auch zu Krankheiten oder neurotischen Verhaltensweisen führen, je öfter wir sie pflegen.

Karma

Aus diesen Zusammenhängen kann das hinduistische Gedankengebäude des Karmas entstanden sein: Alles Böse kommt auf denjenigen zurück, der es getan oder ausgesendet hat. Wer also anderen Unheil wünscht, indem er Flüche ausstößt und sich in Hass badet, verspannt sich und fügt damit seinem Körper und seiner Seele sofort Schaden zu, der, auch wenn er nicht gleich wahrgenommen wird, bei wiederholter Aktion unheilvolle Folgen nach sich ziehen kann.

Umgekehrt: Alles Gute kommt auf denjenigen zurück, der es getan oder ausgesendet hat. Gute Gedanken zu schicken, für jemanden zu beten und gute Taten zu setzen, öffnet die Seele und entspannt den Körper. Dabei werden beide, Körper und Geist, vor Schaden geschützt und bleiben heil. Mit guten Gedanken und Wünschen für andere verbinden wir uns mit dem Menschheitsgewebe, dessen Fäden wie die Milliarden Axone und Dendriten im Gehirn alles mit allem verbinden. Wir lösen uns aus der Vorstellung des Abgeschnittenseins und des Alleinseins, die Urquelle aller Ängste, und vertrauen uns dem größeren Ganzen an.

Wenn wir dessen Fürsorge und Zuwendung für uns spüren können, indem wir uns in unseren Nöten vertrauensvoll an es wenden, können wir uns ganz entspannen und den Moment genießen. Das ist die beste Basis für Gesundheit und Wohlbefinden. Deshalb ist es eine empfehlenswerte Übung, gerade jenen Menschen, die einem geschadet haben oder übelgesonnen sind, gute Wünsche, Licht und Wohlwollen zu schicken – die Folgen dieser Taten, gleich ob sie den anderen Menschen verändern oder nicht, werden uns selber zugute kommen und die Schädigungen oder Bedrohungen bei weitem aufwiegen, unter denen wir leiden.

Warum jedoch laufen ganz offensichtlich böse Menschen gesund und munter herum? Es wäre für die Verbesserung der Gesellschaft sicherlich praktisch, wenn das Karma sofort zuschlagen würde (instant karma). Jemand denkt einen bösen hasserfüllten Gedanken und schon schlägt der Blitz ein. Mittels sofortiger Bestrafung wird jedes schädigende Verhalten radikal abgestellt.

Doch so arbeitet das Universum nicht. Es hat uns mit enormen Kompensationsmechanismen ausgestattet, die es uns erlauben, über längere Zeit Stress auszuhalten und unsere Ängste zu verdrängen. Wir nehmen diese Traumen, die uns zu den schlechten Verhaltensweisen drängen, gar nicht mehr wahr und verstricken uns so sehr in unsere Coping- und Rechtfertigungsstrategien, dass wir keinen Grund erkennen können, unser Leben zu verändern.

Als geübte Verdränger merken wir keine unmittelbaren Auswirkungen unseres Übelwollens und sehen von daher keinen Grund, mit solchen Praktiken aufzuhören. Selbst wenn wir krank werden oder in eine andere Krise schlittern, führen wir es nicht auf die Kleinverspannungen zurück, die entstehen, sobald wir uns in die Bosheitszone begeben.

So braucht es manchmal eine Keule von außen, dass sich etwas wandelt. Der Manager, der sich und seine Mitarbeiter rücksichtslos ausbeutet, geht endlich einmal auf Urlaub und bricht dort mit Herzversagen zusammen. Der böse Diktator wird gestürzt und flieht ins Exil, um dort schwer zu erkranken und bald zu sterben – so ist es schon häufig passiert. Wenn der Druck des Weitermachens gewichen ist, weil die Grundlage des Weitermachens verschwunden ist, brechen die aufgestauten Ängste durch und überfordern die Lebensfähigkeit.

Leid und Schuld

Weshalb aber gibt es so viel unschuldiges Leiden? Weshalb müssen kleine Kinder an Krebs oder sonstigen schlimmen Krankheiten leiden, Kinder, die niemandem Böses zugefügt haben? Wir sollten verstehen, dass nicht böse Taten und Gedanken krank machende Ängste erzeugen, sondern dass umgekehrt die aus Traumatisierungen stammenden Ängste krank machen. Es ist nur eine von vielen Möglichkeiten, mit diesen Ängsten umzugehen, wenn wir sie nach außen wenden und durch unseren Hass gegen andere projektiv bekämpfen und uns dabei langfristig selbst schädigen.

Leid muss nicht Folge von Schuld sein, wie es die Karma-Lehre behauptet. Es kann auch Leid geben, das durch die Komplexität der Natur, durch Fehlregulationen im Organismus auftritt, ohne dass es mit moralischen Kategorien zusammengebracht werden kann. Vielleicht sind sehr frühe Traumatisierungen die Ursache der Fehlreaktionen, also gravierende Störungen in der frühen Embryonalgeschichte oder in der Entwicklung der Ei- oder der Samenzelle. Vielleicht gibt es Ursachen, die wir noch nicht kennen, vielleicht gibt es Ursachen, die wir nie kennen werden.

Es gibt also Leid aus moralischen Ursachen, wie bei Fehlverhalten, das wir zu verantworten haben, und Leid aus anderen Ursachen, bei dem es keine personale Verantwortung gibt. Wie sollen wir eine personale Verantwortung dafür übernehmen, was wir angeblich in einem Vorleben angestellt haben? Bei wem sollen wir uns da entschuldigen?

Aus meiner Sicht vermischt die Karma-Lehre diese beiden Aspekte und erzeugt damit Schuldzusammenhänge, die wieder unnötiges Leid hervorbringen. Wenn wir anerkennen, dass es Leid gibt, dessen Quelle wir nicht kennen, können wir es leichter tragen, als wenn wir annehmen, dass irgendwann, sie es auch in einem früheren Leben, ein schuldhaftes Verhalten zugrunde liegt.

Soziale Folgen

Es gibt auch noch den Aspekt der Sozialschädlichkeit des „Andere-Schlechtmachens“. Wenn wir auf andere zornig und hasserfüllt sind und über sie lästern, können wir nicht gleichzeitig offen und herzlich bei unseren Mitmenschen sein. Unser Herz ist verschlossen und unser Inneres in Dunkelheit gehüllt. Wir können zwar zu den Anwesenden nett und freundlich sein, während wir zugleich über Abwesende herziehen, doch ist diese Nettigkeit nur Verstellung. Sie kommt aus einer eingeengten Seele.

Darum tun wir unseren Freunden Gutes, wenn wir sie mit den Anklagen gegen unsere „Feinde“ in Ruhe lassen. Wir können unsere Gefühle mit ihnen teilen, sollten aber tunlichst unsere Urteile bei uns belassen und in uns durch die oben genannte Übung oder andere Praktiken auflösen.

Fazit

Die goldene Regel: „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu“ wird zur Feststellung: „Was du nicht willst, das man dir tut, das fügst du dir gleich selber zu“. Dann kann die Regel auch so umformuliert werden: „Weil du nicht willst, was man dir tut, füg es dir selber auch nicht zu.“ Oder: „Weil du nicht willst, dass es dir selber schlecht geht, tu den anderen nichts an, dass es ihnen schlecht geht.“

* * *

Die Regeln sind dem Roman von Elif Shafak  “The Forty Rules of Love” (2010) entnommen. Diese "Regeln" sind aus dem Schreiben des Romans entstanden und durch die mystischen Lehren des Sufismus inspiriert. www.elifshafak.com
In deutscher Übersetzung ist das Buch 2013 im Kein&Aber-Verlag erschienen.

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